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Die Regelungen zur Fristunterbrechung und -hemmung sind in § 1 und § 2 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 in der Justiz (1. COVID-19-JuBG; Art 21 BGBl I 2020/16) zu finden.

 

Unterbrechung verfahrensrechtlicher Fristen

§ 1 1. COVID-19-JuBG ordnet die Unterbrechung von verfahrensrechtlichen Fristen in allen gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen (Zivilprozesse, Außerstreitverfahren, Grundbuch- und Firmenbuchverfahren, Exekutionsverfahren, Provisorialverfahren) an.

Unterbrochen werden

  • Fristen, die am 22. 3. 2020 noch nicht abgelaufen sind, und
  • Fristen, deren fristauslösendes Ereignis in den Unterbrechungszeitraum 22. 3. bis (vorerst) 30. 4. 2020 fällt.

Erfasst sind sämtliche verfahrensrechtlichen Fristen, unabhängig davon, ob es sich um gesetzliche oder richterliche Fristen handelt (Frist für Rechtsmittel und Rechtsmittelbeantwortungen, Rechtsbehelfsfrist, Frist für den Einspruch gegen den Zahlungsbefehl, Äußerungs- und Stellungnahmefrist usw). Irrelevant ist auch, ob die Frist für eine Partei läuft oder vom Gericht einzuhalten ist.

Ausgenommen von der Unterbrechung sind

  • Fristen im Insolvenzverfahren (§ 7 2. COVID-19-JuBG, Art 37 BGBl I 2020/24);
  • Fristen in Verfahren über die Rechtmäßigkeit eines aufrechten Freiheitsentzugs nach dem UbG, dem HeimAufG, dem TuberkuloseG oder dem EpidemieG (§ 1 1. COVID-19-JuBG);
  • Leistungsfristen iSd § 409 ZPO (§ 1 1. COVID-19-JuBG);
  • Fristen, bei denen das Gericht gemäß § 1 1. COVID-19-JuBG im Einzelfall ausgesprochen hat, dass sie von der Unterbrechung ausgenommen sind.

Eine unterbrochene Frist beginnt nach dem Ende des Unterbrechungszeitraums in ihrer vollen ursprünglichen Länge neu laufen. Zunächst war unklar, ob der erste Tag nach dem Unterbrechungszeitraum (vorerst der 1. 5. 2020) bei der Berechnung der neuen Frist mitzuzählen ist oder nicht. Mit dem 4. COVID-19-Gesetz (BGBl I 2020/24) hat der Gesetzgeber klargestellt, dass keine Mitzählung erfolgt.

Dies bedeutet, dass (wenn es bei der Unterbrechung bis Ende April 2020 bleibt) eine 14-Tages-Frist mit Ablauf des 15. 5. 2020 und eine 4-Wochen-Frist mit Ablauf des 29. 5. 2020 endet.

 

Hemmung von Fristen zur Anrufung des Gerichts

Gem § 2 1. COVID-19-JuBG werden Fristen, in denen „bei einem Gericht eine Klage oder ein Antrag zu erheben oder eine Erklärung abzugeben ist“, gehemmt. Hier ist schon unklar, welche Fristen der Gesetzgeber erfassen wollte. Eigentlich können nur materiell-rechtliche Fristen, die durch Anrufung des Gerichts zu wahren sind, gemeint sein, wie die Verjährungsfrist, die Gewährleistungsfrist, eine Präklusivfrist oder die Frist für die Besitzstörungsklage. Die Gesetzesmaterialien führen als Beispiel aber auch prozessuale Fristen wie die Frist für die Anrufung des Gerichts nach Befassung der Schlichtungsstelle an.

Zeitlich erfasst der Hemmungstatbestand

  • Fristen, die während des Hemmungszeitraums beginnen, und
  • Fristen, die (unter Berücksichtigung der Wochenendruhe) am 22. 3. 2020 oder später enden.

Mangels Einschränkung tritt die Hemmung unabhängig von der Länge der Frist und auch unabhängig davon ein, welcher Teil bereits abgelaufen ist. Gehemmt wird daher auch eine 30-jährige Verjährungsfrist, die gerade erst begonnen hat, was sachlich überschießend erscheint.

Bei § 2 1. COVID-19-JuBG handelt es sich um eine Fortlaufshemmung.

Für Fristen, die während des Hemmungszeitraums ausgelöst werden, bedeutet dies, dass die Frist erst nach Wegfall der Hemmung in voller Länge läuft. Auch hier stellt sich die Frage , ob der erste Tag nach dem Hemmungszeitraum (vorerst der 1. 5. 2020) bei der Berechnung des Fristendes mitgezählt wird oder nicht. Die bisherige Praxis bei anderen Fällen der Fortlaufshemmung scheint keine Einrechnung vorzunehmen. Nach dieser Berechnungsweise läuft eine Verjährungsfrist von drei Jahren, die während des Hemmungszeitraums ausgelöst worden ist, mit Ablauf des 1. 5. 2023 ab. Sicherheitshalber sollte man freilich davon ausgehen, dass die Frist bereits einen Tag früher endet (bei diesem konkreten Beispiel macht dies keinen Unterschied, weil es sich beim 30. 4. 2023 um einen Sonntag handelt und das Fristende aufgrund der Wochenendruhe auf den 1. 5. 2023 verschoben wird).

In laufende Fristen, die während des oder nach dem Hemmungszeitraum enden, wird der Hemmungszeitraum nicht eingerechnet. Daher muss jener Fristteil, der bei Beginn der Hemmung offen war, nach Wegfall der Hemmung noch ablaufen. Mangels klarer gesetzlicher Vorgaben kommen für die Berechnung des neuen Fristenendes mehrere Wege in Frage. Die einfachste Berechnungsmöglichkeit besteht darin, an das zunächst ohne die Hemmung ermittelte reguläre Fristende eine Frist von 40 Tagen anzustückeln, wobei der letzte Tag der regulären Frist (sicherheitshalber) als der erste, nicht mitzuberechnende Tag der folgenden 40-Tages-Frist behandelt werden sollte. Eine Verjährungsfrist, die regulär mit Ablauf des 25. 3. 2020 geendet hätte, läuft daher aufgrund der Fortlaufshemmung erst um Mitternacht des 4. 5. 2020 ab.

Aufgrund der verbleibenden Unsicherheiten über die Berechnungsweise ist zu empfehlen, die so ermittelten Fristen nicht vollständig auszunützen und die fristwahrende Handlung besser früher als später zu setzen.

 

Mehr erfahren:
Kolmasch, Unterbrechung und Hemmung von Fristen aufgrund der COVID-19-Krise, Zak 2020/193, 115-117.