• 1

Artikel

Bei der Haftung nach § 1319a ABGB für den mangelhaften Zustand eines Wegs handelt es sich um eine deliktische Haftung, die Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Wegehalters oder seiner Leute voraussetzt. Während § 1319a ABGB die Haftung wegen Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten verdrängt, gehen dieser Norm speziellere Anspruchsgrundlagen, nach denen der Wegehalter auch für leichte Fahrlässigkeit einstehen muss, vor. Insbesondere haftet der Wegehalter bereits bei leichtem Verschulden, wenn sich seine Verkehrssicherungspflichten aus einem (vor-)vertraglichen Rechtsverhältnis oder einer anderen rechtlichen Sonderbeziehung mit dem Wegbenützer ableiten lassen.

Grobe Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB definiert die Judikatur als „auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falls in ungewöhnlicher Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist“ (RIS-Justiz RS0030171). Sowohl der objektive Sorgfaltsverstoß als auch dessen subjektive Vorwerfbarkeit müssen besonders schwerwiegend sein (zB 2 Ob 26/06x = Zak 2006/681, 397). Naturgemäß bleibt ein weiter Spielraum für die Einzelfallbeurteilung offen. Die in Zak 2014/271 veröffentlichte Judikaturübersicht gibt einen ausführlichen Überblick über die Rechtsprechung.

Insbesondere wurde grobes Verschulden dann bejaht, wenn der Wegehalter

  • selbst eine gravierende, in ihrem Ausmaß klar erkennbare Gefahrenquelle geschaffen hat, ohne Absicherungsmaßnahmen zu treffen (zB 4 Ob 211/11z = Zak 2012/317, 158),
  • trotz Kenntnis eines schweren Mangels grundlos mit der Behebung zuwartete (zB 7 Ob 589/89 = ZVR 1990/103) oder
  • gebotene Kontrollen über einen langen Zeitraum unterlassen hat (zB 4 Ob 104/97s = EvBl 1997/158).

Judikaturübersicht (Auszug)
 
WegGefahrVerhalten des WegehaltersGrob fahrl.Entscheidung
Fahrradverkehr
Mountainbikestrecke    Viehsperren   Keine besondere Markierung einer Viehsperre (bestehend aus einem separaten Fußgängerdurchgang, zwei Holzpfosten und zwei als Schranken dienenden Glasfiberstäben), die aus einer Entfernung von 55 m als mögliche Gefahrenquelle erkennbar ist. Nein 1 Ob 260/05z = Zak 2006/302
An einer abschüssigen Stelle über den Weg gespanntes Weideband ohne besondere Kennzeichnung (etwa mit Bändern, Tüchern oder Warnschild). Ja 4 Ob 211/11z = Zak 2012/317
Über eine Forststraße gespannter, fast unsichtbarer Draht. Ja 2 Ob 23/94 = ZVR 1995/61
Fußgängerverkehr
Gehsteig oder -weg    Baustelle Keine Warnung vor der Rutschgefahr beim Betreten einer Schachtabdeckung aus Metall, die aufgrund der Schneelage nicht erkennbar war. Ja OLG Wien 16 R 89/96t = ZVR 1998/24
Brückengeländer Seit Jahrzehnten nur optische, nicht jedoch mechanische Überprüfung („Rütteltest“) der Geländerstabilität. Ja 4 Ob 104/97s = EvBl 1997/158
Unebenheit  Keine „ballsaalähnliche Oberflächenstruktur“ eines Gehsteigs im Stadtgebiet, weil der Wegehalter bei regelmäßigen Kontrollgängen (Abstand von maximal sechs Wochen) festgestellte „Asphaltbeulen“ nicht in jedem Fall umgehend beseitigt, sondern bei kleineren, als ungefährlich eingeschätzten Unebenheiten (bis zu einer Höhe von 2 cm) abwartet, ob sich diese vergrößern. Nein 10 Ob 50/04g = ZRInfo 2004/494
Keine Auffüllung eines 50 cm breiten und 4 cm tiefen Lochs im Asphalt über mehrere Monate, obwohl die betroffene Stelle im Ortskern liegt und stark frequentiert ist. Ja 7 Ob 589/89 = ZVR 1990/103
Kfz-Verkehr
Straße Winterdienst Kein 100%iger Schutz gegen Glatteisbildung auf einer Bundesstraße (keine Warneinrichtungen bei Vereisungsgefahr und keine besonders häufigen Kontrollen eines Straßenabschnitts, der nicht für seine Gefährlichkeit bekannt ist). Nein OLG Graz 2 R 179/92 = ZVR 1994/65
Unterbrechung des Streudienstes im Gemeindegebiet zwischen 01.30 und 03.30 Uhr, wobei der in diesem Zeitraum einsetzende Regen, der zur neuerlichen Glatteisbildung führte, aufgrund des Wetterberichts nicht vorhersehbar war. Nein 2 Ob 115/08p
Unzureichende Splittstreuung anstelle der zur Verkehrssicherung gebotenen Verwendung von Auftaumitteln auf einer Gefällstrecke, um „im Interesse des Fremdenverkehrs“ eine schneebedeckte Fahrbahn und damit ein einheitlich weißes Landschaftsbild zu erhalten. Ja 2 Ob 93/89 = ZVR 1990/15

 
Mehr erfahren:
Kolmasch, Judikaturübersicht: Grobes Verschulden des Wegehalters, Zak 2014/271, 146-150.